Die Blicke der Anderen

Früher war ich regelmäßig joggen. Das fördert die Kondition, und es macht stolz, wenn man es auch nach vielen Kilometern am Stück bis nach Hause schafft. Kaum das Sohn 3 Fahrrad fahren konnte, hatte ich ihn zum Joggen mitgenommen. Papa lief und Sohn 3 fuhr freudestrahlend nebenher. So zogen wir durch den Wald und dabei viele amüsierte Blicke auf uns.

Schnell wurde absehbar, dass Kind 3 ein Sportler werden würde. So konnte er bereits in der Grundschule locker neben mir herlaufen und bald auch über weite Strecken mithalten. Stets erntete der Sohn dabei die bewundernden Blicke aller, die uns entgegenkamen, und das war immer wieder ein schönes Erlebnis.

Nach einiger Zeit dann liefen unsere sportlichen Interessen auseinander. Ich wechselte zum Bouldern und Klettern, und der Sohn entdeckte sein Herz für Fußball. Aus der Grundschule wurde ein Gymnasium, die Jahre gingen dahin und „gemeinsam rennen“ taten wir höchstens noch, um die Straßenbahn auf dem Weg ins Kino nicht zu verpassen.

Heute, einige Jahre später, waren wir nach langer Zeit wieder einmal zusammen joggen, spontan aus einer Laune heraus. Nach all den Jahren wieder gemeinsam durch den Wald zu traben war wunderbar! Wieder einmal zogen wir die Blicke auf uns. Aber irgendetwas war anders. Erst verstand ich es nicht genau, doch jetzt wird es mir plötzlich klar…

Mein Sohn ist bereits vorgelaufen, wahrscheinlich ist er schon zu Hause und schmettert unter der Dusche seine Lieblingslieder. Unterdessen versuche ich immer noch, den Weg aus dem Stadtwald zu schaffen und mich keuchend die verbleibenden Meter bis nach Hause zu schleppen.

Ja, auch heute haben wir viele Blicke auf uns gezogen. Aber sie zeugten nicht mehr von Bewunderung, sondern von Mitleid. Und diesmal waren sie auf mich gerichtet.

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4 thoughts on “Die Blicke der Anderen

  1. Kopf hoch, Holger!
    Ich bin gerade einmal Erwachsen und wenn ich joggen gehe, bekomme ich auch diese Mitleidsblicke. Einmal war ich gerade auf der Hälfte meiner 4-Kilometer-Strecke, als ein Mitvierziger mich überholte, langsamer wurde und neben mir her lief. Als ich mich ihm zuwandte, fragte er mich nur, ob es mir gut ginge oder ob er mir Hilfe besorgen solle. Anscheinend sah ich aus wie ein halbtoter Zombie und nicht wie eine junge Dame, die sich um ihre Kondition bemüht…

  2. Nimms nicht so schwer! Ich werde dafür weiterhin neben dir laufen. Und wenn wir mit unseren Stöcken so vor uns hinschlurfen, werden wir die Blicke auf uns ziehen und man wird sich fragen: “ Wie lange machen die das schon so?“

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