
Landwirtschaft ist komplex. Tierwirtschaft verursacht erhöhte Emissionen, braucht viel Futterflächen und ist für die Tiere oft eine tödliche Qual. Gleichzeitig liefern Tiere neben proteinreicher Nahrung auch guten Dünger. Insekten freuen sich an Kuhfladen als Brutstätte. Schafe, Rinder und Wasserbüffel lassen sich auch in schwierigem Gelände halten, wo kaum ein Trecker hinkommt. Will man den tierischen Dünger durch Industriedünger ersetzen, erkauft man dies durch weitere Emissionen in der Vorkette oder Verbrauch von knappem grünen Wasserstoff. Klimaneutralen Stickstoff-Nährstoff liefern Klee und Luzerne, die wiederum nur als Viehfutter taugen.
Gibt es denn keine tierfreundliche Landwirtschaft, die emissionsarm, preisgünstig und nachhaltig ohne Eingriffe in die Natur für 8,2 Mrd. Menschen gesundes und natürlich preisgünstiges Essen produzieren kann? Das ist doch wohl nicht zu viel verlangt. Da gibt’s doch sicher was mit Bio.
Bio-Siegel
Jein, das geht allenfalls mit Einschränkungen. Es gibt das offizielle europäische EU-Bio-Logo und die deutsche Version, das Bio-Siegel.
Beide stehen in etwa für die gleichen Mindestanforderungen. Diese umfassen
- 95% der Zutaten aus ökologischer Landwirtschaft
- abwechslungsreiche Fruchtfolge
- keine Gentechnik
- keine synthetischen Pflanzenschutzmittel
- keine mineralischen Dünger (Industriedünger)
- irgendwas mit Tierwohl und ohne Antibiotika
Zusätzlich gibt es viele andere private Siegel mit schärferen Anforderungen.
Die einzelnen Punkte sind durchaus streitbar. Z.B. beim Tierwohl heißt „mehr Platz“ eine Haltung von 6 Hühnern pro Quadratmeter. Das ist etwa die Fläche meines Schreibtischs, da mag ich keine 6 Hühner drauf halten. Und auch kein Mastschwein, dem zunächst 0,6 m² zustehen, ab 100 kg dann 1,5 m². Man hätte ja auch glauben können, dass Jungtiere bewegungsfreudiger sind und daher mehr Platz kriegen als große Tiere. Aber so ist das mit dem Tierwohl anscheinend nicht gedacht. Wäre auch kontraproduktiv, denn solange Tier zu viel Bewegung kriegt, setzt es wenig Speck an und beim Schlachter geht es nach Gewicht – auch für Biofleisch. Warum wohl sind Milchkühe öfter auf der Weide als männliche Rinder?
Auch die anderen Punkte sind irgendwie inkonsistent. Warum keine Gentechnik oder synthetische Pflanzenschutzmittel? Sind „natürliche“ Zutaten automatisch besser? Der gentechnisch gewonnene mRNA-Impfstoff gegen Covid hat Millionen Menschenleben gerettet. Die natürlich wachsenden Maiglöckchen, Herbstzeitlose, Fliegenpilz, Fingerhut und Tollkirsche haben eine schlechtere Bilanz. Synthetisch hergestelltes Aspirin hilft gegen Kopfschmerzen, die durch natürlich hergestellten Bio-Wein ausgelöst wurden. Manche Regeln sind paradox.
Immerhin spart der Verzicht auf mineralischen Dünger Emissionen in der Vorkette und eine gute Fruchtfolge verbessert die Bodenqualität langfristig. Eine Studie der TU München zeigt, ökologische Landwirtschaft kann die Emissionen pro Jahr und Hektar halbieren (Artikel und Originalstudie). Das ist sehr schön. Gleichzeitig sinken jedoch die Erträge. Bei Getreide betragen die Einbußen – Ironie des Schicksals – etwa 50%. Wir bekommen also halb so viel Emissionen für halb so viel Getreide. Ich bin unsicher, ob dieser Ganz-oder-gar-nicht-Ansatz die optimale Lösung ist. Welche Erträge kann ich erwirtschaften, wenn ich Kunstdünger und synthetische Pflanzenschutzmittel reduziere statt sie ganz wegzulassen? Bei welcher Menge liegt der Sweet Spot?
Dennoch hat Biolandwirtschaft insgesamt Vorteile, insbesondere bei Wasserschutz, Biodiversität, Bodenqualität, Humusbildung und auch für die Klimaanpassung (Schutz vor Erosion und Hochwasser). Auch zeigt sich Bio weniger wetterfühlig. Über längere Zeiträume liefert der Bio-Landwirt gleichmäßigere Erträge, während konventionelle Landwirtschaft stärkeren Schwankungen ausgesetzt ist.
Flächenverbrauch
Wenn wir alle Bio essen, steigt wegen der geringeren Erträge der Flächenverbrauch. Wir wollen den Flächenverbrauch jedoch reduzieren und so die LULUCF-Bilanz verbessern und/oder Moore vernässen. Der Schlüssel dafür liegt in der Änderung unserer Ernährung. Essen wir weniger Fleisch- und Milchprodukte braucht die Landwirtschaft weniger Fläche. So bleibt mehr Platz für Bio. Ingesamt benötigen wir weniger Getreide und Mais, wenn nicht noch 28 Millionen Rinder und Schweine sowie 167 Millionen Federviecher mit am Tisch sitzen – und später auf dem Tisch (Zahlen von 2024 für Deutschland).
Bei vegetarischer/veganer Ernährung kann sich unser Flächenbedarf um 46 % bis 50% reduzieren. Bei einer fleischreduzierten Ernährung gemäß Planet Health Diet immerhin um 18 %. So schreibt die Albert-Schweitzer-Stiftung (Originalstudie hier, finanziert vom WWF.)
Biovegan
Knapp 1,5 Mio Menschen in Deutschland leben vegan, oder sind zumindest nah dran. Einmal mehr: Niemand muss Vegetarier oder Veganer werden. Wir müssen die Tierhaltung reduzieren aber nicht abschaffen. Wenn ich jedoch streng vegan leben will und jede Form von Nutztierhaltung ablehne, dann will ich wohl auch nicht, dass mein Vollkorndinkel zuvor mit Kuhmist, Gülle, Horn-, Blut- und Knochenmehl gedüngt wird. Das wäre zumindest konsequent und wo eine Nachfrage ist, entwickelt sich auch ein Markt.
Die biozyklisch vegane Landwirtschaft geht diesen zusätzlichen Schritt und verzichtet auf den Einsatz jeglicher Tierprodukte. Das ist machbar, bringt jedoch erhöhte Anforderungen an den Stickstoffkreislauf, den Anbau von Leguminosen. Besonderes Augenmerk braucht dabei die Fruchtfolge. Für eine gute Bodenbilanz ohne tierischen oder industriellen Dünger braucht es eine gute Strategie. Aus dem Schulunterricht kennen wir noch die Dreifelderwirtschaft. Die heutigen Fruchtfolgen gehen darüber hinaus. Im ökologischen oder bioveganen Anbau kann diese so aussehen:
- Jahr 1: Luzerne und Kleegras (Aufbau Stickstoff, Bodenverbesserung, Unkrautunterdrückung)
- Jahr 2: Luzerne und Kleegras (Aufbau Stickstoff, Bodenverbesserung, Unkrautunterdrückung)
- Jahr 3: Winterweizen oder Dinkel, Hauptfrucht (verbraucht Stickstoff und Nährstoffe)
im Herbst Zwischenfrucht zur Bodenpflege ohne Ertrag - Jahr 4: Kartoffel (verbraucht Stickstoff und Nährstoffe)
- Jahr 5: Roggen (verbraucht Stickstoff und Nährstoffe)
- Jahr 6: Ackerbohne oder andere essbare Leguminose (Aufbau Stickstoff, jedoch selbstunverträglich)
- Jahr 7: Dinkel (verbraucht Stickstoff)
im Herbst Zwischenfrucht zur Bodenpflege - Jahr 8: Hafer (verbraucht Stickstoff)
Klee und Luzerne werden dabei nicht verfüttert, sondern zu Biodünger durch Unterarbeiten, Mulchen, Jauche, Kompostierung. Denkbar ist auch Vergärung in Biogasanlagen. So gewinnt man neben Dünger auch noch Energie. Phosphor und Kalium wird zugeführt über Gesteinsmehl und Kompostierung von Gemüseabfällen oder auch Rückführung aus Kläranlagen.
Damit habe ich in acht Jahren sechs hoffentlich ertragreiche Ernten. Das heißt jedoch auch, bei bioveganer Landwirtschaft liefern ¼ meiner Flächen im Jahr keinen Ertrag. Zusätzlich erwirtschaften die bio-ökologischen Verfahren weniger Ertrag pro Hektar, mehr wird höchstens der Arbeitseinsatz.
Entsprechend schlägt sich ökologischer Landbau und erst recht biovegane Bewirtschaftung im Preis nieder. Als Verbraucher stehe ich dann vor dem Supermarktregal wieder vor dem Dilemma: Kaufe ich die preiswerte Discounter-Marke oder vertraue ich dem Bio-Siegel und zahle dafür einen Preisaufschlag?
Ausblick
Dennoch wurden 2022 bereits 10% der Flächen in Deutschland ökologisch bewirtschaftet. Gemäß der Bio-Strategie 2030 soll dies bis 2030 auf 30% anwachsen. Das klingt ehrgeizig und ich habe nicht recherchiert, wie dies im Detail umgesetzt wird. Mit den oben genannten Ertragseinbußen wären das in der Produktion 10% weniger Lebensmittel. Bleibt zu hoffen, dass wir diese nicht durch Importe aus Übersee ausgleichen. Das würde die Klimabilanz erst recht verhageln. Apropos Lebensmittelimporte, es Zeit für einen Kaffee
Anhang
- Landwirtschaft erklärt: Wie viel Fläche veganer Biolandbau braucht
- Andere Siegel für Lebensmittel hier oder hier
- Mehr zu bioveganer Landwirtschaft
Wie du sagst: wo ist das gesunde Gleichgewicht, das zwischen wirtschaftlicher Gewinnoptimierung und selbstlosem rein-klimaorientiertem Agraranbau?
Schwierig zu finden, aber vermutlich eine lohnenswerte Suche.